Das Waltz-Teleskop – Auf der Suche nach Exoplaneten im Heidelberger Hinterhof
von Dane Späth (Universität Heidelberg), Juli 2024
Wer sich regelmäßig mit der neuesten Forschung rund um Exoplaneten beschäftigt, wird häufig auf die größten und leistungsfähigsten Teleskope der Welt aufmerksam. Dazu gehören etwa die Weltraumteleskope James Webb, Kepler und TESS, aber auch die modernsten erdgebundenen Teleskope in Chile, Hawaii oder auf den Kanarischen Inseln sind regelmäßig in Pressemitteilungen zu finden.
Diese hochmodernen Instrumente und ihre Entdeckungen sind die großen Zugpferde der Exoplanetenforschung. Doch aufgrund der nur begrenzt verfügbaren Beobachtungszeit können sie oft nur einen Bruchteil der Sterne in unserem Nachthimmel untersuchen. Größer angelegte Himmelsdurchmusterungen auf der Suche nach fernen Planeten, beispielsweise mittels des TESS-Teleskops der NASA, untersuchen zwar beinahe alle helleren Sterne, können dadurch aber im Allgemeinen nur Planeten mit sehr kurzen Umlaufzeiten von wenigen Tagen bis einigen Wochen finden. Diese sind zwar (überraschend) häufig anzutreffen, doch ein Blick in unser eigenes Sonnensystem verrät, dass damit ein großer Teil der Planeten verborgen bleibt. Denn während die inneren Gesteinsplaneten, mit Umlaufzeiten von 88 Tagen (Merkur), 224 Tagen (Venus), 365 Tagen (Erde) und 686 Tagen (Mars) in Ausnahmefällen noch detektierbar wären, sind die großen Gas- und Eisriesen mit Perioden von 11,8 Jahren (Jupiter), 29,4 Jahren (Saturn), 84 Jahren und 165 Jahren (Neptun) damit nicht zu finden. Für diese Objekte brauchen Astronomen einen langen Atem und langfristigen Zugang zu geeigneten Teleskopen.
Ein solch ambitioniertes Projekt wird bald an der auf dem Hausberg Königstuhl gelegenen Landessternwarte in Betrieb gehen, sozusagen im Heidelberger Vorgarten. Dort arbeitet eine Gruppe von Mechanikern, Astronomen und Studenten der Universität Heidelberg seit einiger Zeit daran, das Waltz-Teleskop, welches bereits seit 1906 den Himmel über Heidelberg beobachtet, mit modernster Technik zur Detektion von Exoplaneten auszustatten. Mit einem Hauptspiegel von 72 cm Durchmesser war das Waltz-Teleskop, benannt nach dessen Stifterin Katharina Böhm (geb. Waltz), zwar einst eines der größten Teleskope der Welt, kann aber natürlich den modernen Observatorien nicht das Wasser reichen. Dennoch ist es ausgezeichnet geeignet, relativ helle Sterne bis zur Helligkeitsklasse 6 zu beobachten. Diese Helligkeitsklasse entspricht etwa den dunkelsten Sternen, die bei guten Beobachtungsbedingungen noch mit bloßem Auge sichtbar sind.
Das Waltz-Projekt startet dabei aber nicht gänzlich von Null, sondern baut auf einer langfristigen Planetensuche bei über 370 Sternen auf, die 1999 am Lick-Observatorium in Kalifornien begann. Wegen eines technischen Defekts musste das Projekt 2011 vorübergehend eingestellt werden, wobei übergangsweise für besonders interessante Sterne Daten an anderen Observatorien aufgenommen wurden. Nun wird das Projekt in Heidelberg wiederbelebt. Die Daten vom Lick-Observatorium lieferten bereits 15 neue Exoplaneten und eine Vielzahl von Planetenkandidaten, bei denen die Datenlage noch nicht ausreicht, um die planetaren Begleiter zweifelsfrei zu bestätigen. Zu diesen Kandidaten gehören auch Planeten mit relativ langen Umlaufzeiten. Doch da die Beobachtungszeit für die meisten Sterne bisher nicht länger als 12 Jahre ist, sind Planeten mit längeren Umlaufzeiten bisher nur sehr schwer oder gar nicht nachweisbar.
Genau dies hoffen die Heidelberger Astronomen mit dem Waltz-Projekt nun zu erreichen. Durch eine Kombination der Daten vom Lick Observatorium und vom Heidelberger Waltz-Teleskop wird bereits jetzt eine Zeitspanne von 25 Jahren abgedeckt. Da das Waltz-Teleskop nur diese 370 Sterne beobachtet und langfristig betrieben werden soll, hofft man, Planeten mit Umlaufzeiten ähnlich denen der Umlaufzeit des Saturns zu finden.
Eine weitere Besonderheit des Waltz-Projektes ist, dass die 370 zu beobachtenden Sterne Rote Riesensterne sind. Diese Sterne sind um ein Vielfaches größer als unsere eigene Sonne. Zumindest im Moment, denn auch unsere Sonne wird sich in ferner Zukunft zu solch einem Riesenstern entwickeln. Die Riesen haben dabei bis zum hundertfachen Radius unserer Sonne. Aufgrund dieser Größe sind sie (bei gleicher Entfernung) sehr hell. Tatsächlich gehören viele Rote Riesen zu den hellsten Sternen, die am Nachthimmel zu finden sind. Zu den 370 Sternen, die am Waltz-Teleskop beobachtet werden sollen, gehören beispielsweise Aldebaran und Pollux, die beide zu den 20 hellsten Sternen gehören.
Die Sonne wird sich in etwa 5 Milliarden Jahren zu einem Roten Riesen entwickeln und dabei ihre Hülle um ein Vielfaches aufblähen. Modelle zeigen, dass bei diesem Ausdehnungsprozess Merkur und Venus voraussichtlich von der Sonne verschlungen werden. Ob die Erde dieses Schicksal teilen wird, kann noch nicht zweifelsfrei geklärt werden, da auch noch weitergehende Prozesse (wie etwa Gezeitenkräfte, Link) ihren Teil dazu beitragen. Wie stark und auf welche Weise ein Planetensystem von der Entwicklung seines Sterns beeinflusst wird, ist genau die wissenschaftliche Fragestellung, zu der die Heidelberger Astronomen ein Puzzlestück hinzufügen wollen.
Eine zusätzliche Besonderheit ist außerdem, dass die Riesensterne, die mit dem Waltz-Teleskop beobachtet werden sollen, im Durchschnitt deutlich massereicher als unsere Sonne sind (sie haben etwa die 1-3 fache Masse). Diese Sterne kann man erst in ihrem Riesenstadium mit den bekannten Methoden zur Entdeckung ferner Planeten gut untersuchen. Zuvor bleiben uns Planeten um diese Sterne verborgen. Das Waltz-Projekt untersucht daher einen gänzlich anderen Massenbereich an Sternen als die meisten anderen Projekte. Man hofft dabei zu verstehen, ob die Planeten um schwerere Sterne vielleicht ganz anders sind als die Planeten, die wir um sonnenähnliche Sterne bisher kennen.
Das Waltz-Teleskop wird dabei die Radialgeschwindigkeitsmethode einsetzen, um weitere Planeten um diese Riesensterne aufzuspüren. Dabei werden regelmäßig hochaufgelöste Spektren der Sterne aufgenommen. Die Idee ist dabei, dass wenn ein Planet um einen Stern kreist, auch der Stern auf eine (deutlich kleinere) Umlaufbahn gezwungen wird. Dies ist leicht ersichtlich, da nicht nur der Stern den Planeten mittels der Gravitationskraft anzieht, sondern umgekehrt auch der Planet den Stern. Da der Stern aber deutlich mehr Masse besitzt, ist seine resultierende Umlaufbahn erheblich kleiner. Dennoch hat dadurch auch der Stern eine Bahngeschwindigkeit, die dazu führt, dass sich die Spektrallinien des Sterns periodisch zu längeren bzw. kürzeren Wellenlängen verschieben. Dies ist der sogenannte Doppler Effekt. Genau diese Verschiebung der Spektrallinien kann mittels eines Spektrographen gemessen werden und daraus die Masse und Bahn des Planeten rekonstruiert werden.
Für diesen Zweck wurde das historische Waltz-Teleskop mit einem modernen Spektrographen ausgestattet, der überwiegend von Studenten entwickelt und gebaut wurde. Dieser wird durch eine Lichtfaser mit dem Licht des Teleskops gespeist. Anschließend wird der Lichtstrahl durch einen Parabolspiegel zu parallelen Strahlen (Kollimator) gebündelt und auf ein Echelle-Gitter gestrahlt. Dies ist ein stufenförmig (daher der Begriff Echelle, von französisch: Leiter) angeordnetes Reflektionsgitter. Dieses Gitter erzeugt ein Beugungsmuster, d.h. das Licht wird in verschiedene Beugungsordnungen aufgeteilt. Dieses Beugungsmuster wird anschließend über mehrere Reflektionen an verschiedenen Spiegeloberflächen zu einem Prisma geleitet, welches die bisher in einer Ebene verlaufenden Beugungsordnungen noch einmal senkrecht streut, um ein passendes Format für einen quadratischen CCD-Detektor zu erzeugen (man spricht im Fachjargon hier von Kreuzdispersion). Anschließend wird das 2D Beugungsmuster mittels einer Kamera auf einem modernen CCD-Detektor aufgezeichnet und digitalisiert. Dieses Prinzip wird von fast allen modernen Spektrographen zur Planetensuche verwendet.
Um thermische Schwankungen zu minimieren, arbeiten die meisten modernen Spektrographen in Vakuumtanks unter sehr stabilen Druck- und Temperaturbedingungen – ein äußerst aufwendiger und kostspieliger Vorgang. Da dies für kleinere Spektrographen wie das Waltz allerdings zu kostspielig ist, verwendet die Heidelberger Gruppe stattdessen die feinen Absorptionslinien eines mit Iodgas gefüllten Glaskolbens. Dieser wird in den Strahlengang des Teleskops eingeführt und führt zu einem unverkennbaren feinen Muster an dunklen Iod-Linien Linien im Sternspektrum. Da die Position der Linien im Labor sehr genau vermessen werden kann, können diese zur Kalibrierung des Spektrums verwendet werden. Damit erreicht man zwar nicht die Genauigkeit in der Messung der Radialgeschwindigkeit von 10 cm/s, die nötig wäre, um eine zweite Erde zu finden. Man kann aber Genauigkeiten von 3 – 5 m/s erreichen, was für Rote Riesensterne ausreichend ist. Denn diese aufgeblähten Sterne führen selbst ein sehr unruhiges Leben: Sie werden größer und kleiner. Dieses Pulsieren des Sterns verursacht selbst eine messbare Radialgeschwindigkeit und verschluckt das Signal von leichten Planeten wie unserer Erde leider in den meisten Fällen vollständig. Daher ist es in den meisten Fällen lediglich möglich, schwere Planeten zu entdecken.
Das Teleskop und der Spektrograph werden komplett von einem Computer aus gesteuert. Es soll neben den wissenschaftlichen Ergebnissen auch Heidelberger Studenten die Möglichkeit geben, Beobachtungserfahrung zu sammeln. Frei nach dem Motto „So früh wie möglich soll der junge Student auf der Sternwarte arbeiten!“, das dem Gründungsdirektor der Sternwarte, Max Wolf, zugeschrieben wird. Langfristig ist sogar geplant, das Teleskop komplett im Fernbetrieb (remote) oder gar robotisch zu betreiben. Dazu müssen aber noch einige letzte Kinderkrankheiten beziehungsweise Alterserscheinungen beseitigt werden.
Seit Ende 2022 nimmt das Team erste Daten vom Heidelberger Nachthimmel auf. Erste Tests zeigen, dass das Teleskop die erforderliche Genauigkeit erreicht. Im Moment bekommt das Teleskop noch ein finales „Make-Up“. Alle Spiegel wurden noch einmal neu beschichtet, um die bestmögliche Nutzung des Sternenlichts zu garantieren. Danach wird sich das Waltz-Teleskop als eines von nur wenigen Teleskopen in Deutschland auf die Suche nach unseren extrasolaren Nachbarplaneten machen. Auf spannende Ergebnisse “Made in Germany” darf gehofft werden.